»Man kann nicht kämpfen, wenn die Hose voller ist als das Herz.«

Vorherige Seite: Geschichte Nächste Seite: Informatik

Geschichte - Projektwoche 2001

NS-Spurensuche "Unter den Eichen"

"Als Kinder", so erzählte uns Axel Ulrich vom Wiesbadener Stadtarchiv, "spielten wir mitunter auf diesem Gelände am Waldrand. Auf unsere neugierigen Fragen den Bunker betreffend, konnten oder wollten uns die Erwachsenen keine präzise Auskunft geben. Meist hieß es nur, der stamme aus dem Krieg - erst später beschäftigte ich mich intensiv mit der Geschichte dieses Ortes."

Auch wir Schülerinnen und Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule wollten im Rahmen der Projektwoche mehr über diesen von Bäumen und Büschen verdeckten Bunker erfahren. Bis zu den 70er Jahren, so wusste Ulrich zu berichten, blieb die Geschichte dieses Bauwerkes mehr oder weniger im Verborgenen.Erst durch eine Besuchergruppe aus Luxemburg erfuhren die Wiesbadener, dass sich auf dem Gelände des Bunkers aus der NS-Zeit auch noch ein Häftlingslager befunden hatte. Es handelte sich um ein Außenkommando des SS-Sonderlagers Hinzert im Hunsrück. Die in Wiesbaden Inhaftierten waren zumeist Widerstandskämpfer aus dem Großherzogtum. 1944 erbauten diese auf Befehl des berüchtigten SS-Generals Jürgen Stroop den Bunker zum Schutz der Waffen SS vor alliierten Luftangriffen.

Schließlich wurde 1991 die Gedenkstätte eröffnet; sie ist die einzige in der Bundesrepublik Deutschland, die an den Widerstand und das Leiden der Luxemburger erinnert. Auch wenn die Spuren der jüngsten Vergangenheit zu verwischen drohen, wurden sie für uns mit dem Besuch der unterirdisch betonierten Räumlichkeiten zu einer lebendigen Geschichtsstunde. So hat auch eine "Weltkurstadt" ihre NS-Schattenseiten, die wir so nicht vermutet hätten. In diesem Sinne empfehlen wir allen Interessierten die historische Spurensuche selbst aufzunehmen und sich mit dem Stadtarchiv in Verbindung zu setzen.

Mariko Arnold

Gespräch mit Zeitzeugen

"Ich bin e echt Meenzer-Mädche", so leitete Gerti Meyer-Jorgensen ihren Bericht an der Carl von Ossietzky-Schule ein. Der sympathisch-weiche Mainzer Tonfall stellte sofort eine Verbindung zwischen der Zeitzeugin und unserer Gruppe her. Sie und ihr Mann waren einer Einladung unserer Projektgruppe gefolgt, die über die Hessische Landeszentrale für politische Bildung vermittelt wurde. Wir wollten einfach mit den rüstigen Rentnern ins Gespräch kommen und von Ihnen erfahren, wie sie die NS-Zeit und die Emigration überstanden hatten. Im Nachhinein waren wir uns einig, der verschlungene Lebensweg der beiden war so spannend wie ein Roman und hätte sicherlich einen interessanten Stoff für jede Filmproduktion hergeben.

Gerti wurde 1918 als Tochter wohlhabender jüdischer Eltern in Mainz geboren. Die Familie besaß ein angesehenes Schuhgeschäft in der Mainzer Innenstadt sowie weitere Filialen in den Vororten. In der Familie spielte die Konfession keine große Rolle, so besuchte die Familie nur an den zwei höchsten Feiertagen die Synagoge. Wie "richtige Deutsche" feierten Sie die christlichen Feste wie Weihnachten und Ostern. In ihrer Kindheit und Jugend war sie nie religiösen Diskriminierungen ausgesetzt, Mainz galt als tolerante Stadt im Reich und Gerti war ein "Meenzer Mädche" wie sie selbst öfter betonte. Vor allem Ihr Vater sah sich mehr als Deutscher und weniger als Jude, weshalb er auch nicht Deutschland verlassen wollte. ("Wenn ich aus Deutschland fliehen muss, dann auf dem letzten Eisenbahnwaggon und zwar auf dem Puffer", sei seine stereotype Aussagen gewesen.).

Dies änderte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. "Im Stürmer", dem Kampfblatt der Nazis, las Gerti eines Tages auf ihrem Nachhauseweg von der "minderwertigen jüdischen Rasse". Mancher einst so gute Schulkamerad grüßte sie nicht mehr und mied jegliche Begegnung. 1935 war sie aufgrund der Nürnberger Gesetze gezwungen, auf eine jüdische Schule zu wechseln, der sich eine Ausbildung zur Krankengymnastin anschloss. Dieser Beruf hätte ihr, so betont Frau Meyer-Jorgensen immer wieder, in vielen Situationen in ihrem Leben geholfen, ja sogar das Überleben ermöglicht. Als die "Arisierung" der Geschäfte in Deutschland begann, mussten die Eltern, wie auch andere jüdische Geschäftsinhaber, ihr Geschäft verkaufen. 1940 wurde sie in Stuttgart wegen Devisenschmuggels verhaftet. Während sie eine neunmonatige Gefängnisstrafe absaß, besorgte ihr die Mutter in der Zwischenzeit ein Ausreisevisum. Um der Deportation zu entgehen, musste sie Deutschland nach ihrer Entlassung möglichst schnell verlassen.

In Königsberg sah sie Ihre Mutter zum letzten Mal, diese wurde später deportiert und kam im KZ Treblinka ums Leben. Gerti floh über Moskau und fuhr mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Port Arthur und von da nach Harbin und mit dem Schiff nach Schanghai. Hier lernte sie ihren ersten Mann, einen österreichischen Emigranten kennen. Die Ehe stand aber unter keinem guten Stern. "Er verspielte das wenige Geld, das wir besaßen, unsere Partnerschaft war nur von kurzer Dauer." Ihre Arbeit als Krankengymnastin konnte sie auch in Schanghai ausüben und das hielt sie über Wasser. Da ihr Visum abgelaufen war, galt sie als staatenlos. Doch zu ihrem Glück lernte sie einen norwegischen Kapitän, Herrn Jorgensen kennen, der sie pro forma heiratete, um ihr eine neue Identität zu verschaffen.

Auf einem Flüchtlingsschiff gelangte sie mit ihrem norwegischen Pass nach Südafrika, wohin ihr Bruder bereits 1936 emigriert war. Hier lernte sie ihren dritten Mann kennen, doch ihr gemeinsames Glück war nur von kurzer Dauer. Dieser war bereits von einer schweren Krankheit gezeichnet, er verstarb nach wenigen Jahren. Gerti entschloß sich ins geliebte Mainz zurückzukehren. Trotz ihrer wiedergefundenen Freundinnen aus der Schulzeit hielt es sie nicht lange in ihrer alten Heimat. Sie machte sich auf den Weg nach England. Hier lernte sie ihren heutigen Mann kennen. Mit verschmitztem Seitenblick meint sie: "So lange war ich noch nie verheiratet!" Ihr Mann stammt ursprünglich aus Köln und war aufgrund der Judenverfolgung nach England emigriert, wo er sein Studium absolvierte.

Beide verbrachten einige Jahre auf der Insel und gingen dann aus beruflichen Gründen in die Schweiz. Aber es zog sie zurück in die alte Heimat, eine Ferienwohnung war schnell gefunden und so pendelte die Familie zwischen den Schweizer Bergen und dem "goldigen Meenz". Erneut wurde der Kontakt zu ihren alten Schulkameradinnen in Mainz aufgenommen. Mittlerweile leben beide in Wiesbaden und gehen trotz ihres hohen Alters noch ihren Berufen nach. Für Frau Meyer-Jorgensen steht fest, dass ihr Lebenslauf durch das Schicksal bestimmt gewesen sei. Am Ende ihres Vortrags gab sie uns ihre Philosophie mit auf den Weg: "Alles, was du tust, wird dir zurückgegeben."

Mahsheed Arash-Asish, Friederike Freutel, Markus Gisart