»Man kann nicht kämpfen, wenn die Hose voller ist als das Herz.«

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Pazifismus

„Die Waffen sind unheilbringende Geräte,
nicht Geräte für den Edlen.
Nur wenn er nicht anders kann, gebraucht er sie.
Ruhe und Frieden sind ihm das Höchste.
Er siegt, aber er freut sich nicht daran.
Wer sich daran freuen wollte, würde sich ja des Menschenmordes freuen.
Wer sich des Menschenmordes freuen wollte,
kann nicht sein Ziel erreichen in der Welt.“

Laotse (4.Jhd. v. Chr.)

Definition des Pazifismus

Bezeichnung für eine aus verschiedenen Weltanschauungen christlicher, humanistischer und idealistischer Herkunft entwickelte Grundhaltung, die bedingungslose Friedensbereitschaft fordert, jede Gewaltanwendung kompromisslos ablehnt und damit in letzter Konsequenz zur Kriegsdienstverweigerung führt. Gleichzeitig ist es die zusammenfassende Bezeichnung für die seit dem 19. Jahrhundert vor allem in Europa und in den U.S.A entstandenen Friedensbewegungen, die die Ziele des Pazifismus verfechten. Pazifismus tritt in verschiedenen Erscheinungsformen auf. Man unterscheidet zwischen einem ethisch - religiösen Pazifismus, der an das Gewissen des einzelnen appelliert und primär mit Hilfe von Glaubensgemeinschaften oder ähnlichen humanistisch fundierten Organisationen das Friedensideal zu verwirklichen sucht, einem sozial und wirtschaftlichen Pazifismus, der auf die Beseitigung sozioökonomischer Kriegsursachen und damit in der Regel auf umfassende gesellschaftliche Änderungen hin orientiert ist und einem politischen Pazifismus, der sich die Beseitigung politischer Kriegsursachen zum Ziel gesetzt hat. Der völkerrechtliche Pazifismus verfolgt das Ziel, einer internationalen Friedensordnung durch die Überwindung von Recht - und Gesetzlosigkeit in den internationalen Beziehungen näher zu kommen.

Pazifismus, der jeden Krieg zur Lösung politischer Konflikte ablehnt, ohne nach den Ursachen zu fragen und ohne Unterschiede zwischen den kriegführenden Staaten und der Art des Krieges zu machen, wird radikaler Pazifismus genannt.

Carl von Ossietzky als Pazifist

Aus dem linksliberalen Lager kommend, entwickelte sich Ossietzky im 1. Weltkrieg zu einem überzeugten Pazifisten. Nach Tätigkeit in der "Deutschen Friedensgesellschaft" (1919/20) wirkte er bis 1922 als Redakteur an der „Berliner Volkszeitung“, 1924-26 an der Zeitschrift „Das Tagebuch“ und danach bis 1933 als Chefredakteur "Die Weltbühne". Als Mitverantwortlicher für einen die geheime Aufrüstung der Reichswehr enthüllenden Artikel wurde Ossietzky 1931 wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, 1932 amnestiert. Nach dem Reichstagsbrand kam er 1933 in Gestapo-Haft, 1935 erhielt Ossietzky den Friedensnobelpreis.

Von Bertha von Suttner bis Carl von Ossietzky

Die deutsche Friedensbewegung von 1890 bis 1939

Im vorigen Jahrhundert haben vor allem zwei Romane international über das literarische Publikum hinaus gewirkt: Harriet Beecher-Stowes gegen die Sklaverei geschriebenes Buch "Onkel Toms Hütte" (1852) und Baronin Bertha von Suttners Roman „Die Waffen nieder!“ (1889). Als belletristische Leistung könnte diese biographisch angehauchte Erzählung einer Frau, deren Erleben mit den zeitgenössischen Kriegen verbunden ist, leicht in Vergessenheit geraten. Doch zum Erstaunen der Autorin lehnten alle Zeitschriften- und Zeitungsredaktionen, die ansonsten häufig Beiträge bei ihr bestellten, das Manuskript mit der Begründung ab: “große Kreise der Leser würden sich durch den Inhalt verletzt fühlen“ und“ es sei ausgeschlossen, diesen Roman in einem modernen Militärstaat zu veröffentlichen“. Nach langem Zögern erklärte sich schließlich dennoch ein Verleger bereit, das Buch zu drucken, welches einen Siegeszug in Deutschland und bald - dutzendfach übersetzt - in vielen Ländern antrat. Bertha von Suttner traf mit dem Aufzeigen der Schrecken des Krieges in ihrem gefühl und geistvollen Stil den Nerv der Zeit. Auch eine gewisse Sentimentalität, Melodramatik und einige moralisierende Schattierungen trugen dazu bei. Bertha von Suttner hatte in ihrer Zeit, in der Frauen kein Wahlrecht besaßen und von politischen Versammlungen ausgeschlossen waren, durch ihre adlige Herkunft einen großen Vorteil. Sie konnte sich in den nobelsten Kreisen der Gesellschaft ebenbürtig bewegen, verschaffte sich Gehör und teilweise Zustimmung. Sie gründete 1891 die österreichische "Gesellschaft der Friedensfreunde", deren Präsidium sie übernahm. Im folgenden Jahr (1892) gab die „Gesellschaft der Friedensfreunde“ eine "Monatsschrift zur Förderung der Friedensidee" heraus, die den Titel "Die Waffen nieder!" trug. Die Gründung der österreichischen Friedensgesellschaft ermöglichte die Gründung der „Deutschen Friedensgesellschaft“ (1892), welche ansonsten wahrscheinlich erst viel später möglich gewesen wäre. Die Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft erfolgte, gemessen an England und den USA, wo die ersten solcher Vereinigungen bereits zu Beginn des 19.Jahrhunderts entstanden, spät genug. 1843 fand in London der erste Kongreß der Friedensfreunde statt. Weitere Friedensbewegungen gab es zu der Zeit in Skandinavien, Holland, Belgien, Frankreich und in der Schweiz. Durch den dominierenden preußischen Geist waren die Voraussetzungen im Deutschen Reich sehr ungünstig. Sehnsucht nach militärischer Kraft und nach dem Großmachtstatus bestimmten das politische Klima. 1850 verbot die Polizei den Pazifistenverein, der sich in Königsberg zusammengefunden hatte. In Königsberg hatte Immanuel Kant mit der Schrift "Zum ewigen Frieden" 1795 die Grundlagen zur internationalen Friedensordnung und dem Völkerrecht gelegt. Kants Philosophie beruft sich in ihrer Argumentation auf die für ihn über alle Maßen wichtige, Vernunft, den guten Willen und die Pflicht. Der Frieden wird bei Kant zu einem Gebot der Vernunft, einer sittlichen Pflicht. Kant strebt durch den Diskurs aufgeklärter Bürger über das Friedensproblem, die Einrichtung eines Völkerbundes als Ziel an. Gegenpositionen wurden nicht nur vom Deutschen Reich, sondern z.B. auch von Felix Dahn, dem gefeierten Autor viel gelesener Romane („Ein Kampf um Rom“) und des zwanzigbändigen Werkes "Die Könige der Germanen", eingenommen. Er antwortete auf die Übersendung eines friedensphilosophischen Aufsatzes, daß er nicht von seiner geschichtlich und philosophisch begründeten Überzeugung abgehen werde, aus der sich der Krieg als Notwendigkeit ergebe, denn er habe neben schädlichen auch wohltätige, veredelnde und sittlich erziehende Wirkungen. Des weiteren würden Bertha von Suttner und ihre Gesinnungsgenossen die deutsche Volksseele schädigen, denn sie untergrüben das Pflichtbewußtsein, die Vaterlandsliebe und die heldenhafte Gesinnung. Mit diesen Ausführungen erntete Felix Dahn den Beifall der Menge. Auf Vortragsreisen und interparlamentarischen Konferenzen predigte Bertha von Suttner den Mächtigen der Welt die Friedensidee. Sie warb für ihre Vision einer konfliktfreien Welt, die mit Hilfe der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der Abrüstung entstehen sollte. 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis, den sie mit Freuden als Ermunterung für die Friedensbewegung entgegennahm. Für Bertha von Suttner war die Friedensbewegung auch eine Emanzipationsbewegung. Sie starb einundsiebzigjährig im Juni 1914, wenige Wochen vor Kriegsbeginn, dessen Exzesse kriegsbegeisterter Massenhysterie ihr erspart blieben. Die Friedensbewegungen glaubten an das Gute im Menschen und an die deshalb logische Entwicklung zum Völkerfrieden. Um die Friedensbewegung zu internationalisieren, war der Bezug auf das tagespolitische Geschehen unerwünscht. Vor dem ersten Weltkrieg waren 10.000 Pazifisten in der deutschen Friedensbewegung organisiert. Sie war eine rein bürgerliche Bewegung, die sich als oppositionelle Minderheit zum wilhelministischen Obrigkeitsstaates empfand.

Der erste Weltkrieg

1914 war die träumerische und stark gefühlsbeladene Phase der Friedensbewegung beendet. Diese Anfangszeit wurde später heftig diskutiert und deren Fehler kritisiert. Am strengsten hat Carl von Ossietzky die deutsche Ahnfrau des Pazifismus behandelt. Die "Friedensbertha" sei eine weltfremde Frau, die für die Ideen des Pazifismus nur die schwache Ausdrucksform der Wehleidigkeit gefunden und mit Weihwasser gegen Kanonen gekämpft habe. Ossietzky wirft ihr vor, sie sei im Äußerlichen haften geblieben, anstatt bis zum Sinn vorzustoßen.

Schließlich hätte sie den Kitsch gestreift und der gesamten Friedensbewegung einen Beigeschmack von Lächerlichkeit verliehen. Der Pazifismus trüge den Charakter des Unmännlichen. Dieser Wesenszug des Pazifismus sei durch Fanatiker und Sektierer mit dem Kardinalrezept für alle Weltübel, Allerweltsreformer, die das Fleisch, die Muskelkraft und alles Maskuline überhaupt verabscheuten, verstärkt worden. Politiker seien nach Ossietzky in der Minderzahl gewesen, und so sei es nicht gelungen, die Bewegung als solche an Realitäten zu orientieren. Bei dieser abschätzigen Äußerung über den bürgerlichen Pazifismus ließ Ossietzky völlig außer acht, mit welchem Engagement sich Vertreter der Friedensbewegung in den Jahren vor 1914 für den demokratischen Gedanken und für demokratische Zustände im Deutschen Reich eingesetzt hatten. Auch ignorierte er den Einsatz der Friedensbewegung während des ersten Weltkriegs für die Einhaltung elementarer Regeln des Völkerrechts und der Menschenrechte, ihren Kampf gegen Annexionen, gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und gegen andere militärische Exzesse.

Ein Beispiel für das politische Engagement demokratischer Pazifisten stellt Ludwig Quidde dar. Er tat sich schon als 23-jähriger Jungakademiker mit der Streitschrift gegen Antisemiten (1881) hervor. Quidde machte als hoffnungsvoller Historiker die Fachwelt auf sich aufmerksam, bis seine akademische Karriere 1894 jäh ein Ende fand. Ausschlaggebend war seine Broschüre "Caligula. Eine Studie über den Römischen Cäsarenwahnsinn", als deren wahren Helden man unschwer Kaiser Wilhelm, II., erkennen konnte. Diese wissenschaftliche Abhandlung war die politische Schmähschrift gegen den Wilhelminismus schlechthin. Wegen der nachfolgenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Ächtung verlegte der linksliberale Historiker sein Wirkungsfeld vor allem auf die Deutsche Friedensgesellschaft. Quidde wurde zu einer Symbolfigur des deutschen Pazifismus, da er sich als Leiter der deutschen Delegation bei den Weltfriedenskongressen ab 1901 hervortat und 1907 den Weltfriedenskongreß in München vorbildlich organisierte. 1913 trat er mit dem "Entwurf zu einem internationalen Vertrag über den Rüstungsstillstand" hervor und kämpfte während des ersten Weltkriegs gegen die offiziellen Kriegsziele. Quidde hielt den Krieg für überwindbar. An Stelle der Gewalt sollte in einem allmählichen Prozeß das Recht treten. Er trat für die Idee einer zwischenstaatlichen Friedensordnung unter Berücksichtigung und Lösung von Interessenskonflikten ein. 1924 wurde er in einem damals sehr häufig stattfindenden Verfahren wegen Landesverrats verhaftet, welche zur Einschüchterung der Kritiker des Militarismus veranstaltet wurden. Quidde hatte sich publizistisch gegen die Schwarze Reichswehr (geheime Aufrüstung unter Bruch des Versailler Vertrages) gewandt. Seine Aufgabe in der Friedensbewegung sah er vornehmlich in dem Richtungsausgleich und dem Zusammenhalt der Bewegung. 1927 mußte der Friedensnobelpreisträger ins Exil. Ein weiterer Geburtshelfer der Deutschen Friedensgesellschaft war Richard Grelling. Er propagierte in einer damals verbreiteten Werbeschrift einen Rüstungsstop durch internationale Abkommen: „Nur durch internationale Vereinbarungen kann dem Rüstungsfieber Einhalt geboten werden. Das ist das Heilmittel, über dessen Notwendigkeit und Nützlichkeit in wenigen Jahren - wenigstens bei den Regierten - kein Zweifel mehr bestehen wird.“ Das war 1894. Er plädierte nicht für eine vollständige Abrüstung, sondern lediglich für einen Rüstungsstillstand: "Mögen sie vorläufig jeden Mann und jeden Groschen behalten. Nur keine neuen Männer und Groschen!" Erst einige Jahre später wurde Grelling wieder aktiv. Im ersten Weltkrieg vertrat er die Überzeugung, daß Deutschland einen Angriffskrieg führe und veröffentlichte diese Ansichten in einer Schrift "J`accuse", die großen Erfolg hatte. Zu diesem Schritt hatten ihn Männer aus der sozialdemokratischen Minderheit, die sie später zur USPD zusammenfanden, bewogen. Über die Kriegsschuldfrage ergab sich der erste Kontakt zwischen dem bürgerlichen Pazifismus und der Arbeiterbewegung, die sich bis dahin scharf abgegrenzt hatte. Nach dem Krieg hatte Grelling einen schweren Stand, denn wer die Unschuld des Deutschen Reiches anzweifelte, galt als Vaterlandsverräter. Daraus ergab sich, daß er nur noch in pazifistischen und linksliberalen Blättern, z.B. in der "Weltbühne", in "Die Menschenrechte" oder in "Das Andere Deutschland" schrieb. Obwohl sich die Friedensbewegung vor dem ersten Weltkrieg als Opposition gegen den wilhelminischen Obrigkeitsstaat begriff, trat sie wie die Mehrheit der Sozialdemokratie ins nationale Glied und übte Zurückhaltung, begründet durch die Auffassung, daß ein gerechter Verteidigungskrieg selbstverständliche Pflicht sei. Individuelle oder gar kollektive Kriegsdienstverweigerung wurde von den damaligen Pazifisten abgelehnt. Trotzt dieser Ansichten blieben sie den Anhängern des Macht- und Obrigkeitsstaates suspekt genug, denn sie forderten: Rüstungsbeschränkungen, internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Selbstbestimmungsrecht der Völker und parlamentarische Kontrolle der Außenpolitik. Doch die Bewegung geriet nur teilweise ins Stocken, da sich Ende 1914 eine neue pazifistisch bürgerlich-demokratische Opposition formierte: „Bund Neues Vaterland“. Von der politischen und religiösen Position der Mitglieder sollte abgesehen werden. Sie arbeiteten für die Wahlrechtsreform, die Demokratisierung und für friedliche internationale Beziehungen.

Mitglieder waren unter anderen: Friedrich Wilhelm Foerster, Karl Liebknecht und Fürst Lichnowsky. Der "Bund Neues Vaterland" bemühte sich in Zusammenarbeit mit Verständigungsvereinen in den Niederlanden und Großbritannien um Frieden und sie vertraten den europäischen Gedanken. Nach dem Verbot dieser Organisation 1916 kamen einige der Mitglieder unter Polizeiaufsicht. Der organisierte Pazifismus wurde von den militärischen und zivilen Behörden lahmgelegt. Proteste und Aktivitäten wurden von Behinderungen, Schikanen, bis hin zum Rufmord und zu Existenzvernichtungen begleitet. Für diejenigen, die sich für Verständigung oder gar für das Bekenntnis der deutschen Kriegsschuld aussprachen, war das Leben in der Weimarer Republik gefährlicher als es unter der Militärdiktatur des Kaiserreiches gewesen war. Einige Beispiele: Um die Konsequenzen privater Friedensbemühungen zu überdenken, wurde der Industrielle Arnold Rechberg ins Irrenhaus eingeliefert. Kapitänleutnant a.D. und Reformer Hans Paasche, Autor des Buches "Meine Mitschuld am Zweiten Weltkriege", kam nach einem Hochverratsprozeß 1917 ins Nervensanatorium und wurde 1920 auf seinem Gut von einem Reichswehrkommando "auf der Flucht erschossen". Philosoph Friedrich Wilhelm Foerster verlor aufgrund der Vertretung unerwünschter Thesen zur deutschen Kriegsschuld seinen Lehrstuhl an der Münchener Universität. Als Propagierer des Wilson’schen 14-Punkte- Programms, als Warner vor dem deutschen Neo-Militarismus, Antipreuße und Verfechter christlicher Ethik mußte er nach Morddrohungen 1922 den größten Teil seines Lebens im Exil verbringen. Foerster vertrat in unzähligen Schriften einen radikalen, ethisch begründeten Pazifismus, der auf friedensstörenden Ursachen gegründet sein müsse. Generalstabsoffizier Hans-Georg von Beerfelde kam 1917 zu der Überzeugung der deutschen Kriegsschuld. Er verlangte vom Reichstag, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen - er wurde 1918 inhaftiert. Von den Matrosen der Novemberrevolution wurde er befreit und in den Vollzugsrat des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates gewählt. Durch den Versuch einer moralischen Erneuerung der deutschen Politik wurde er nach Hitlers Machtübernahme ins Konzentrationslager und nach schlimmer Drangsalierung bis 1945 unter Gestapo-Aufsicht gestellt.

Carl von Ossietzky mußte wegen seinen Ansichten und Engagements ebenfalls Verfolgungen, Gefängnis und den schlimmen Aufenthalt in einem Konzentrationslager ertragen. Er glaubte, daß der Mensch von Grund auf gut sei und baute auf dieser Überzeugung die Vorstellung einer neuen Welt auf. Ossietzky forderte die Menschen auf, anstatt traditionelle Halbheiten in die Zukunft durchzumogeln und somit zu Unrecht zu bewahren, eine längst überfällige geistige Erneuerung zuzulassen. Der Gegenwart und ihren Problemen aufrecht und ehrlich zu begegnen hielt Ossietzky für die wichtigste Tugend, um eine Revolution herbeizuführen. Keine Kompromisse und interessensgebundenen Entscheidungen sollten mehr getroffen werden. Diese, wie er sie nannte, paktierende spießerliche Korrektheit stieße mit ihrer platten Zielbewußtheit nie bis zum Wesen der Dinge vor. Die erste wesentliche Erkenntnis sei nun, daß der Friede nicht allein von Staatsverträgen abhängen kann, da diese sehr leicht in der Realität als "Fetzen Papier" behandelt werden können. Es kommt darauf an, daß die Menschen eine aktive Geisteshaltung entwickeln, die sie unermüdlich unter Verwendung der Vernunft in eigenverantwortlichem Handeln an der Zukunft arbeiten läßt. Das Eintreten für diese Vorstellungen sollte Herzenssache sein. Die höchste Pflicht sei die Durchsetzung der pazifistischen und demokratischen Ideale. Ossietzky war der Überzeugung, daß eine Welt am zusammenbrechen sei und eine neue errichtet werden müsse. Der bürgerlich-kapitalistische Geist und das Kriegeführen seien im Untergang begriffen und die Landesgrenzen verlören in naher Zukunft an Bedeutung. Carl von Ossietzky sieht ein friedliches Europa ohne Grenzen vor sich und fordert: "Völker Europas, findet euch selbst!" Am spektakulärsten war wohl der Fall des Mediziners Georg Friedrich Nicolai, der 1914 einen „Aufruf an die Europäer“ verfaßte, der sich gegen den "Aufruf an die Kulturwelt" richtete, den 93 prominente deutsche Intellektuelle zur Rechtfertigung des Überfalls auf das neutrale Belgien und zur Legitimierung des Krieges als deutsche Kulturmission veröffentlicht hatten. Nicolais Aufruf fand keine Resonanz, nur vier Unterzeichner fanden sich: Albert Einstein und Wilhelm Foerster (Vater des Philosophen Foerster) waren die prominentesten der vier Unterstützer. Wegen kriegsgegnerischen Vorlesungen fiel Friedrich Nicolai unangenehm auf und wurde vom Chefarzt der Herzstation des Lazarettes Tempelhof an das provinzielle Seuchenlazarett in Graudenz strafversetzt. Das war der Anfang einer Reihe von Degradierungen, die als Musketier, der die Ausbildung an der Waffe verweigerte, endete. Hauptursache war die Veröffentlichung seines Buches "Die Biologie des Krieges" 1917, die allen philosophischen, soziologischen, historischen und naturwissenschaftlichen Ansprüchen standhaltende, aggressivste Streitschrift gegen den Krieg. Nach dem Krieg wurde sein Versuch , die medizinischen Vorlesungen wieder aufzunehmen, von nationalsozialistischen Studenten 1920 mit tagelangem Radau verhindert.

Unter den Pazifisten und intellektuellen Gegnern des preußischen Militarismus und des demokratiefeindlichen Wilhelminismus tat sich eine im Schweizer Exil lebende Gruppe hervor, die seit 1917 in Bern die "Freie Zeitung" herausgab. Es war die Stimme der Republikaner und Demokraten im Exil. Friedrich Wilhelm Foerster und Richard Grelling beteiligten sich an der "Freien Zeitung". Es wurde für die Prinzipien des demokratischen Völkerrechts und allgemein- für den radikalen Pazifismus gekämpft. Das Blatt propagierte den Sturz der Habsburger und Hohenzollern und war von der Kriegsschuld der Mittelmächte überzeugt. Als Ziel galt die Einrichtung der demokratisch-republikanischen Staatsform. Den Weltkrieg verstanden sie als Krieg gegen Autokratie und Despotismus, gegen Gottesgnadentum und dynastische Regierungsmethoden. "Nicht Völker werden also in diesem Krieg besiegt werden, sondern Regierungssysteme, die nicht mehr in unsere Zeit gehören." Wegen der Radikalität dieser Gruppe und der so offen ausgesprochenen Hoffnung auf die Niederlage der Deutschen war ihre Wirkung auch unter den Friedensfreunden groß. Um die Visionen zu realisieren, verlangt Ossietzky:

Durch die Enttäuschung über den verlorenen Krieg, die Verletzung des nationalen Stolzes und durch die erdrückenden Friedensbedingungen von Versailles und die ausgedehnte Kriegsschulddebatte waren die Voraussetzungen für die Friedensbewegung der Weimarer Republik sehr ungünstig - dennoch fanden die Organisationen wieder Zulauf. Der "Bund Neues Vaterland" trat schon Ende des Jahres 1918 wieder ans Tageslicht und engagierte sich auf der Seite der Novemberrevolution für Demokratie, Republik und  Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Dessen Mitglieder tendierten politisch zur USPD. In den zwanziger Jahren wuchs die Zahl von 150 (1918) auf knapp 2.000 an. 1922 nannte sich die Organisation in "Deutsche Liga für Menschenrechte" um. In ständigem Kontakt zu ähnlichen Bewegungen in Frankreich und Polen wurde für die Aussöhnung zwischen den Feinden des Weltkrieges gearbeitet. In den nationalistischen Kreisen erregten diese Aktivitäten Argwohn, da deren Ziele Revision und Revanche hießen. Der Kampf gegen die heimliche Wiederaufrüstung in der "Schwarzen Reichswehr", für die Demokratisierung in der Justiz, gegen die Republikfeindschaft in der Reichswehr und der Staatsverwaltung hatte den entschiedenen Einsatz gegen den Nationalsozialismus zur Folge. Die Liga hatte beträchtliche Verdienste um den Friedensgedanken, um die Weimarer Republik und um die Reputation eines politischen Systems, dessen Wert erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt wurde. Verfolgungen von Pazifisten fanden nicht erst nach der Machtübernahme der nationalsozialistischen Machtübernahme statt, sondern auch während des Bestehens der Weimarer Republik. Die "Deutsche Friedensgesellschaft" war nach dem Krieg ebenfalls wieder auferstanden. 1927 zählte sie rund 30.000 Mitglieder. Dieser erfreulich hohen Mitgliederzahl standen die Probleme der Zersplitterung der Bewegung entgegen. Gegen den linksliberalen Honoratiorenpazifismus, den Ludwig Quidde als Vorsitzender verkörperte und dessen Ziele unverändert internationale Rechtsordnung, Schiedsgerichtsbarkeit, Völkerbund waren und der den Verteidigungskrieg als zulässig erachtete, wandten sich radikale Pazifisten, die vor allem in den westdeutschen Gebieten stark waren. Sie setzten sich durch und drängten Quidde und die alte Garde 1929 aus der Führung. Die radikalen Pazifisten träumten von einer Organisation des Pazifismus, die die Massen für die Ziele der Friedensbewegung, für die Fürstenenteignung und die Verhinderung des Panzerkreuzerbaus mobilisieren könnte. Diese pazifistische Bewegung zersplitterte und ging am Ende der Weimarer Republik in Richtungskämpfen auseinander. Nach dem ersten Weltkrieg entstanden auch vollkommen neue Friedensbewegungen. Unter Beteiligung von Carl von Ossietzky, Georg Friedrich Nicolai, Kurt Tucholsky, Emil Gumbel und Bertold Jacob wurde der "Friedensbund der Kriegsteilnehmer" gegründet, dessen Ziel es war, das Fronterlebnis für eine antimilitaristische Bewegung zu mobilisieren. 30.000 Mitglieder erreichte die Bewegung 1921, gegen den Kriegsdienst und die Wehrpflicht brachte die Bewegung am ersten August - dem Tag des Kriegsausbruchs - Zehntausende von Menschen zu Demonstrationen auf die Straße. Der Höhepunkt war 1921 erreicht, als alle Organisationen der Friedensbewegung, sozialistische Parteien und die Freien Gewerkschaften die Kundgebung unterstützten. Allein in Berlin waren 100.000 bis 200.000 Menschen auf der Straße. Durch die Rheinlandbesetzung durch die Franzosen und die Belgier 1923 wurde die Begeisterung für den Antimilitarismus gedämpft. Dazu kam noch die erfolgreiche Riesenveranstaltung 1924, mit der die Reichsregierung die pazifistischen Kundgebungen durch einen Opfertag für die Gefallenen des ersten Weltkrieges konterkarierte.

Es wurde vor dem Reichstag unter anderem ein Ehrenmal für die Gefallenen errichtet. Vertreter des auf christlichen Wurzeln aufbauenden Pazifismus gab es von Anfang an. Doch als eigenständige Richtung organisierten sich die religiös motivierten erst nach dem Weltkrieg. In Berlin fand sich die radikal-pazifistische „Vereinigung der Freunde von Religion und Völkerfrieden“ zusammen, die einige hundert Mitglieder aufwies. In dieser Bewegung spielt der Theologe Günther Dehn eine wichtige Rolle. 1928 hielt er in Magdeburg einen Vortrag über "Kirche und Völkerversöhnung", wo er für die Abschaffung der Militärgeistlichkeit, der Entfernung der Heldenbegeisterung aus Schulbüchern und gegen die Errichtung von Gefallenendenkmälern in Kirchen sprach, da die Getöteten selbst getötet hätten oder es zumindest wollten. Diese Aussagen Dehns wurden zum Skandal hochstilisiert. 1933 wurde er beurlaubt und kurz darauf entlassen. Eine weitere religiös motivierte Bewegung war der "Versöhnungsbund", der interkonfessionell war. Er setzte sich für absolute Gewaltlosigkeit ein und forderte einen zivilen Einsatzdienst anstatt des Kriegsdienstes. Die Friedensbewegung war Ende der zwanziger Jahre zersplittert. Es gab Radikale, die jeden Kriegsdienst ablehnten und am liebsten ihre Ideen in einem straffen politischen Verband vertreten hätten. Diesen Ansichten standen die der liberalen Individualisten entgegen, deren Ideal in der Diskussion von Grundsatzfragen bestand. Ernst Friedrich, der Gründer des Antikriegsmuseums gehörte wohl zu den originellsten Erscheinungen der pazifistischen Szene. Wegen seiner Antikriegs - Gesinnung wurde er für irre erklärt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er gründete 1919 einen antiautoritären Jugendbund und betätigte sich als Anarchist und Schriftsteller. Er erregte 1924 Aufsehen mit dem Buch "Krieg dem Kriege!" in dem er mit Fotos die Grauen des Krieges dokumentierte. Aus diesem Werk entwickelte sich das von ihm gegründete Antikriegsmuseum. Ein "Friedensschiff", das Friedrich auf den Namen „Pax Vobiscum“ getauft hatte, sollte der Völkerverständigung dienen. Die Nazis machten ein Polizeiboot daraus und das Museum wurde 1933 Quartier der SA. Ernst Friedrich wurde im selben Jahr in ein KZ gebracht. Es gelang ihm die Emigration und der erneute Aufbau eines Antikriegsmuseums in Belgien. Unweit von Paris errichtete Friedrich nach dem zweiten Weltkrieg eine Begegnungsstätte. Die Richtungskämpfe waren aber nur eine Ursache für den schlechten Zustand und das triste vorläufige Ende der Friedensbewegung 1933. Das politische Klima war entscheidend gewesen. Nach einer Phase der Duldung und dem Aufschwung der Bewegung geriet sie bald wieder in eine ähnliche Situation, wie im späten Kaiserreich. Die Justiz verfolgte jeden Verstoß gegen die vermeintlich patriotischen Anliegen. Das waren vor allem Veröffentlichungen über geheime Aufrüstungen und über die Revisions- und Revanchebemühungen. Ein literarisches Ereignis wurde zur mächtigsten Demonstration gegen den Krieg. 1929 erschien Erich Maria Remarques Roman "Im Westen nichts Neues", welches als Anklage einer verlorenen Generation gemeint und verstanden wurde. Es war höchst authentisch und eine ganze Generation erkannte sich darin wieder. Logischerweise bekämpften die Rechtsradikalen das Buch und dessen Verfilmung. Die Vorführung wurde in Berlin unter der Führung von Goebbels mit organisierten Massenkrawallen wegen "Gefährdung des deutschen Ansehens in der Welt" abgebrochen und untersagt. Mit der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes 1933 wurde sowohl die organisierte Friedensbewegung als auch die kritischen Zeitschriften zerschlagen. Die Weimarer Republik hatte ein gutes Stück Vorarbeit geleistet. Carl von Ossietzky war 1930 als Redakteur für einen Artikel über die verbotene Wiederaufrüstung in der Luft 1931 wegen Landesverrats zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und im Konzentrationslager bis an den Rand des Todes gequält. 1936 wurde er schwerkrank entlassen und unter Gestapo-Aufsicht gestellt. Der Friedensnobelpreis wurde ihm für das Jahr 1935 zugesprochen, der als eine späte Rechtfertigung für die deutsche Friedensbewegung gilt und eine empfindliche Niederlage für das nationalsozialistische Regime darstellte. Daraufhin verbot die Führung allen Deutschen in alle Ewigkeit die Annahme des Nobelpreises. Mit "Feuersprüchen" flogen bei Bücherverbrennungen 1933 Bücher der Vorkämpfer der Friedensbewegung ins Feuer. "Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung im Geist der Wahrhaftigkeit!" lautete der Feuerspruch zu Erich Maria Remarques Werk und der letzte Feuerspruch war Tucholsky und Ossietzky gemeinsam gewidmet: "Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist!" Das Exil hatte für einige Protagonisten der Friedensbewegung schon vor 1933 begonnen, aber noch vor dem Spektakel der Bücherverbrennung, setzte die Massenflucht der in der Friedensbewegung Organisierten ein. Zahlreiche Pazifisten wurden in Konzentrationslagern interniert, über die Grenzen des Reiches hinweg verfolgt, verschleppt und ermordet. Den meisten Pazifisten war ein sehr karges Leben in der Emigration beschieden. 1933 wurde das Gesetz über die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit und der damit verbundenen Enteignung verabschiedet. Es wurden Listen mit Namen der Ausgebürgerten veröffentlicht. Auf der ersten dieser Listen waren schon zahlreiche Pazifisten vertreten: Friedrich Wilhelm Foerster, Hellmut von Gerlach, Emil Julius Gumbel, Heinrich Mann, Berthold Jacob und Kurt Tucholsky. Ebenfalls standen auf dieser Liste bekannte Persönlichkeiten, wie Lion Feuchtwanger und Leopold Schwarzschild. Hellmut von Gerlach organisierte mit Hilfe der französischen Liga für Menschenrechte Hilfsdienste für deutsche Emigranten. Ludwig Quidde schrieb ein Manuskript über den deutschen Pazifismus während des erstes Weltkrieges, das erst 1979 gedruckt wurde. Emil Gumbel erhielt Lehr- und Forschungsaufträge an französischen und amerikanischen Universitäten. Zeitschriften, wie die "Weltbühne" und das "Tage-Buch" hatten Fortsetzungen im Exil.

"SOLDATEN SIND MÖRDER"

"Sie sind ermordet worden. Denn man soll sich doch ja abgewöhnen, einen Kollektivtod anders als mit den Worten des Strafgesetzbuches und der Bibel zu bezeichnen, die beide die gewaltsame Tötung eines Menschen verhindern wollen. Mord bleibt Mord, auch wenn man sich vorher andere Kleider anzieht, um ihn zu verüben.“

Kurt Tucholsky, 28.11.1925

"Eine grauenhafte Schlächterei", die "Europa entehrt" nannte Papst Benedikt XIV. den Weltkrieg im Juli 1915 in seiner Exhoratio. Aufgrund der allgemeinen Kriegsbegeisterung und des politischen Drucks wurde diese Botschaft des Papstes von den deutschen Bischöfen nur in verfälschter und abgemilderter Form veröffentlicht. Am 4. August 1931 brachte die Weltbühne eine neue Übersetzung dieser leidenschaftlichen Verdammung des Krieges. In der gleichen Ausgabe schrieb Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel eine Glosse, in der er sich mit der Feldpolizei des Weltkrieges beschäftigte, die das Schlachtfeld abgesperrt und darüber gewacht hatte, daß "vorn richtig gestorben wurde". Der Schlußsatz, von dem sich die Reichswehrführung besonders betroffen fühlte: "Soldaten sind Mörder". Gegen Carl von Ossietzky, als verantwortlichen Redakteur der Weltbühne, wurde vom Reichswehr - und -innenminister Groener Strafantrag gestellt. Tucholsky bestritt die Absicht, die Reichswehr zu beleidigen und beteuerte, daß es sich dabei um eine allgemeine pazifistische Forderung handele, die in engem Zusammenhang mit der Exhoratio des Papstes stehe. Das verwunderliche dieser Anklage war, daß Tucholsky seit 1912 immer wieder „straffrei“ schrieb, daß Soldaten "professionelle Mörder" und "ermordete Mörder" seien. Und das blieb im Kaiserreich, in dem der Soldatenstand die gesellschaftliche Elite darstellte, ohne gesellschaftliche oder gar juristische Konsequenzen blieb. In den ersten zwölf Jahren der Weimarer Republik waren diese Aussagen Tucholskys folgenlos geblieben, obwohl er der Reichswehrführung ein Dorn im Auge war und diese immer wieder versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. Tucholsky hatte sich beim Militär verhaßt gemacht durch seine Zielsicherheit mit der er die Schwachpunkte des Militärs traf. Er warf den Militärs nicht einfach Größenwahn oder Machtstreben vor, sondern maß das Militär an seinen eigenen Normen und Ansprüchen. Tucholsky gestand dem Militär immerhin einige Tugenden, wie unbedingten Gehorsam, Sparsamkeit und Unbestechlichkeit, zu. Doch er stellte diesem preußisch - militaristischen Geist, den General von Seeckt noch 1919 als oberste Tugend der Reichswehr und des Volkes ansah, die Realität des Weltkrieges entgegen. Tucholsky macht deutlich, daß diese arrogante, brutale Haltung der Armee das Ansehen der Deutschen im Ausland stark geschädigt habe und daß der gesellschaftliche und militärische Zusammenbruch auf den Militarismus zurückzuführen sei. Tucholsky setzte alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zum Kampf gegen das Wiedererstarken des militärischen Geistes ein, da er darin eine Gefahr für den Bestand der Republik sah. Immer wieder forderte er die Demokratisierung der Reichswehr. Nachdem er die Wirkungslosigkeit seiner Bemühungen einsehen mußte, griff er die geheiligten Güter der Rechten direkt an. In Artikeln und Gedichten bezeichnete er Generäle als "Telefonierende Menschenschlächter", die Gefallenen als „für einen Dreck dahingemordete Opfer“ und verurteilte „das Geschmeiß von Eltern“, die durch die freudige Unterstützung ihrer Söhne in den Krieg zu gehen mitschuldig waren an „dem Tod von Hunderttausenden“ waren. Doch nachdem sich das politische Klima in der Noch - Demokratie verschärfte, reagierte die Reichswehr 1931 auf den "Soldaten sind Mörder" - Vorwurf mit einem Strafantrag. In der Öffentlichkeit war keine Befürwortung des Prozesses erkennbar. Der Prozeß wurde überwiegend für überflüssig gehalten, nur die extreme Rechte sprach von einer "Hetze der Weltbühne" gegen das Militär. In der Weltbühne tauchten immer wieder Beiträge mit Anspielungen auf den kommenden Prozeß auf: Im März 1932 nahm Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde Stellung und Walter Mehring machte Groener auf zahlreiche Personen aufmerksam, die den Soldatenstand verächtlich gemacht hatten, darunter Friedrich der Große, Lessing, Hebel u.s.w. . Tucholsky selbst nahm zu der Anklage nicht Stellung, wie er es brieflich mit Carl von Ossietzky vereinbart hatte. Der im Exil lebende Tucholsky hatte überlegt, ob er nicht zum Prozeß erscheinen solle. Doch dieser Überlegung standen die Warnungen vor möglichen Übergriffen der Nazis entgegen, da er derzeit das rote Tuch der Nazis war. Tucholsky blieb im Ausland. Jedoch mußte er dafür den Preis von Schuldgefühlen und der Verachtung vor sich selbst zahlen, was er einen Tag vor seinem Tod im Jahre 1935 erzählte. Am ersten Juli 1932 begann der Prozeß gegen Ossietzky. Als der Staatsanwalt der Masse von Ossietzkys Verteidiger vorgetragenen Zitate, in denen Soldaten Mörder, Henker oder Schlächter genannt wurden, hörte, verschlug es ihm die Sprache. Das Gericht sprach ihn frei, was in der bürgerlichen und linken Presse Erleichterung und Zustimmung auslöste. Der Freispruch wurde damit begründet, daß zwar eine schwere Ehrenkränkung vorläge, aber nicht irgendwelche Einzelpersonen gemeint gewesen seien, sondern nur eine weitgehende Allgemeinheit von Soldaten. Dieser Prozeß löste eine Welle der kritischen Auseinandersetzung mit der Reichswehr aus. Die Reichswehr ging mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ihre Kritiker vor. Diese Verhaltensweise brachte ihr den Ruf der "ewig beleidigten Reichswehr" ein, die in den "Ruf eines "Reichs - Mimosen - Vereins" gekommen war, wegen der "übergroßen Empfindlichkeit gegenüber der durchaus berechtigten Kritik der Presse". Die Reichswehr versuchte sich durch dieses Vorgehen wieder ihren, durch den verlorenen Krieg, beschädigten Ehrenschild wieder aufzupolieren. Damals wurde parteiübergreifend ein besonderer Ehrenschutz für das Militär gefordert. Beispielsweise brachte die NSDAP einen "Gesetzentwurf zum Schutz der deutschen Nation" in den Reichstag ein, dessen Inhalt drei Jahre später Wirklichkeit wurde:

"Wer den sittlichen Grundsatz der allgemeinen Wehr - oder sonstiger Staatsdienstpflicht der Deutschen in Wort, Schrift, Druck, Bild oder in anderer Weise bekämpft, leugnet oder verächtlich macht, oder wer für die geistige, körperliche oder materielle Abrüstung des deutschen Volkes wirbt, [...] oder wer sonst es unternimmt, die Wehrkraft oder den Wehrwillen des deutschen Volkes zu untergraben, wird wegen Wehrverrats mit dem Tode bestraft. [...] Wer lebende oder tote deutsche Nationalhelden, Heerführer oder Inhaber der höchsten deutschen Tapferkeitsorden, oder wer die frühere oder jetzige deutsche Wehrmacht oder Abzeichen oder Symbole der Landesverteidigung, insbesondere Ehrenzeichen, Uniformen, Flaggen, oder wer die Nationalhymne öffentlich beschimpft, verächtlich macht oder in Ärgernis erregender Weise mißachtet [...], oder wer auf andere Weise Ehre, Würde und Ansehen der Nation besudelt wird mit Zuchthaus, und in Fällen, die von besonderer Roheit und Gemeinheit der Gesinnung zeugen, daneben mit körperlicher Züchtigung bestraft."

Die zunehmenden Veröffentlichungen über die geheime Aufrüstung veranlaßten die Regierung der Weimarer Republik zur "Verstärkung des Ehrenschutzes" einige Paragraphen in die Notverordnung 4 aufzunehmen, die lästige Kritiker zum Schweigen bringen sollten. Üble Nachrede und Verleumdung im politischem Kampf und Angriffe auf die Reichswehr sollten mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft werden. Außerdem wurden die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten weitgehend eingeschränkt. Um zu "normalen Rechtsverhältnissen" zurückzukehren, wurden zahlreiche Notverordnungen außer Kraft gesetzt, was großartig angekündigt wurde. Allerdings wurden die bestehenden Gesetze durch den Inhalt der Notverordnungen verändert. Im Jubel über die Aufhebung der Notstandsgesetze berichtete kaum eine Zeitung über den neu hinzugekommenen Ehrenschutz der Wehrmacht, der in die bestehenden Gesetze eingeschoben wurde. Als "wichtigste Schutzobjekte" galten ab 1933 nach §134a nun die ideellen Werte aus denen der strafrechtliche „Schutz der Volksehre“ als erstes und höchstes Gut hervorrage, dem sich alles andere unterzuordnen und diesem zu dienen habe. Geschützt waren demnach die NSDAP, das "Horst - Wessel - Lied" und die Hakenkreuzflagge. Jede Beschimpfung des Führers war zu bestrafen, da dieser die Einheit von Staat und Bewegung verkörpere. Im Juni 1935 wurde auch die SA und die SS für beleidigungsfähig erklärt und durch den §134b geschützt.Der Ehrenschutzparagraph war so in die Systematik des StGB eingegliedert, daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen als Rechtfertigungsgrund wegfiel und zum anderen böswillige Verächtlichmachungen auch dann noch vorlagen, wenn der Täter von der inhaltlichen Richtigkeit seiner Äußerungen überzeugt gewesen wäre. Tucholsky hätte danach keine Möglichkeit mehr gehabt, sich auf seine pazifistischen Ansichten als wirksamen Rechtfertigungsgrund zu berufen. Eine Verurteilung Ossietzkys als verantwortlicher Redakteur der Aussage Tucholskys "Soldaten sind Mörder" wäre demnach zwingend gewesen. Das Gesetz wurde 1940/41 schließlich bis zur Vollendung pervertiert. Im Protektorat "Böhmen und Mähren" war das Deutsche Reich sogar dann schon beleidigt, wenn nur ein einziger "deutscher Volksgenosse" durch einen "Nicht - Deutschen" beschimpft wurde. Am 30. Januar 1946 wurde der §134a und b durch den alliierten Kontrollrat aufgehoben. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz nicht wieder in Kraft treten dürfe.

"Meinungen durch Gesetze ändern zu wollen, ist schlimmer als nutzlos."

Henry Thomas Buckle, 1858

Nach genau 50 Jahren soll nun die verhängnisvolle Tradition des Ehrenschutzes erneut aufleben. Die militärische Führung kann sich nicht damit abfinden, daß sie juristisch verloren hat. In der Weimarer Republik blieb die Gesetzesänderung ohne jene gesellschaftliche Resonanz, welche die Ehrenschutz - Debatte der neunziger Jahre kennzeichnet. Seitdem das Frankfurter Landgericht 1989 entschied, daß die Aussage „Soldaten sind potentielle Mörder“ weder den Straftatbestand der Beleidigung noch der Volksverhetzung erfüllt, fordern immer mehr Bürger einen Ehrenschutz - Paragraphen für die Bundeswehr. Infolge des Urteils kam es am 26. 10. 1989 zur ersten parlamentarischen Ehrenschutz - Debatte, in der unter Beifall die Absicht zum Schutz gegen alle derartigen Anschläge gegen den inneren Frieden des Landes vorgetragen wurden. Obwohl sich auch viele Pazifisten öffentlich zu diesem Satz bekannten, blieben weitere Schritte des Gesetzgebers vorerst aus, um den Ehrenschutz für Soldaten konkrete Gestalt zu verleihen. Im Februar 1991, als der Golfkrieg als ein sauberer und gerechter Krieg die Medien beherrschte, brachte der Sozialpädagoge Christoph Hiller an seinem Auto drei Aufkleber an: „Schwerter zu Pflugscharen“, „Soldaten sind Mörder“ und das Bild eines sterbenden Soldaten mit der Unterschrift: “Why?“. Der überzeugte Pazifist wollte damit auf die Kehrseite der durch die Medien präsentierten „schönen Bilder“ des „sauberen Krieges“ hinweisen. Hunderttausende von Menschen starben und unter anderem wurde ein Schutzbunker mit Frauen und Kindern in die Luft gesprengt. Hiller suchte, wie er in einer Stellungnahme vor Gericht sagte, nach einer Möglichkeit, auf diese reale und anklagende Seite des Krieges hinzuweisen. Diese Möglichkeit sah er in dem Aufkleber mit dem Tucholsky - Zitat. Das entsprach seiner Wahrnehmung des Krieges: zwei Armeen, die aufeinander zustürmen, um sich gegenseitig zu ermorden. Im Juni 1991 bekam Hiller einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung über 8.400 DM zugestellt. Er legte Einspruch ein und es folgte eine Prozeßserie, die durch mehrere Instanzen ging. 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht nach wochenlanger Flut von Berichten und Stellungnahmen, aber auch nach Morddrohungen gegen die Verfassungsrichter, daß die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben seien, da der Gesamtzusammenhang nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Eine Aussage, daß es erlaubt sei, Bundeswehr - Soldaten Mörder zu nennen, ist in dem Beschluß nicht enthalten. Der CSU - Landesgruppenvorsitzende Michael Glos betonte, daß mit dem Urteil der Ehre der Bundeswehr in keiner Weise in Frage gestellt werde und warnte ausdrücklich vor Fehlinterpretationen. Doch wenig später sahen Regierung, Michael Glos und Teile der SPD - Opposition das Urteil als Schande und eine Zumutung , die für den gesunden Menschenverstand nur schwer begreiflich sei. Der Stellvertretende CSU - Chef Ingo Friedrich sprach sogar von dem „skandalösesten Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschlands“. Hans - Dietrich Genscher bezeichnete das Urteil als „Skandal“, durch das den Soldaten und ihren Familien der „Schutz der Menschenwürde“ entzogen werde. Die SPD warf der Regierungskoalition eine Fehlinterpretation des Urteils vor und trug deshalb eine ursprünglich gemeinsam geplante Erklärung nicht mehr mit. Nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. 8. 1994 bekannt wurde, das einen Aufkleber mit dem Tucholsky - Zitat als zulässige Meinungsäußerung eingestuft hatte, kamen die gesetzgeberischen Schritte bald wieder ins Gespräch. Bundeskanzler Helmut Kohl äußerte sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisch gegenüber des geplanten Ehrenschutzes. Der Deutsche Bundeswehr - Verband hingegen verlangte, den Ehrenschutz für Soldaten notfalls durch eine Gesetzesänderung zu gewährleisten. Der Vorsitzende der CDU - Landesgruppe im Bundestag befand in einem Interview: „Die Soldaten der Bundeswehr haben einen Anspruch auf Schutz ihrer Menschenwürde und ihrer persönlichen Ehre. Dazu muß in das Strafgesetzbuch ein neuer § 188 (besonders schwerer Fall der Beleidigung) eingefügt werden mit dem Inhalt: wer öffentlich Aufgaben und Ansehen der Bundeswehr und ihrer Soldaten herabwürdigt, wird mit Freiheitsstrafe bestraft.“ Von CDU - Abgeordneten im Bundestag kam außerdem die Äußerung, daß der Ehrenschutz für Soldaten auch eine Vorkehrung wäre, die die Wiederholung eines solchen Skandalurteils des BVG verhindere. Nach dem Bekanntwerden der zweiten, bestätigenden höchstrichterlichen Entscheidung im November 1995 riefen nun weitere Politiker der Regierungskoalition nach einem neuen Gesetz. SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die PDS begrüßten hingegen die Entscheidung. Am 9. 12. 1995 verlieh Norbert Geis (CDU) den Vorschlägen der Gesetzesänderung noch deutlicher Gestalt. Er hielt die Ergänzung des Beleidigungsparagraphen § 185 StGB für sinnvoll, alternativ könne man über eine Präzisierung des § 189 StGB (Straftaten gegen Landesverteidigung) oder des § 130 StGB (Volksverhetzung) nachdenken. Einen Monat später verabschiedete die Bonner CSU - Landesgruppe nach dreitägiger Klausurtagung eine Resolution, in der die Forderung nach einer Erweiterung des Beleidigungsparagraphen wiederholt wurde. Anfang Februar kündigte Glos an, daß die CDU / CSU dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen werde, der neben den Soldaten auch die Polizisten vor Beleidigungen schützen und diese mit bis zu drei Jahren Gefängnis ahnden solle. Im Januar 1996 hatte Norbert Geis die Justizminister Bayerns, Baden - Württembergs und Sachsens um eine vertrauliche Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen der CDU gebeten. Alle drei Justizminister (alle CDU) standen der Gesetzesinitiative skeptisch gegenüber. Bayerns Justizminister Hermann Leeb, der sich später unbemerkt den Gesetzesbefürwortern anschloß, machte sogar auf die gefährliche Parallele zur nationalsozialistischen Gesetzgebung aufmerksam. In den Medien ernteten die Debatte und die Gesetzesvorschläge Kritik und Spötteleien. Bezogen auf das geplante Strafmaß warnte Friedrich Küppersbusch in seinem Magazin „ZAK“: „Da werden viele ins Grübeln kommen und sagen: Für drei Jahre kann ich doch schon selber jemanden umbringen.“ In der Presse wurden die Gesetzespläne der Koalition folgendermaßen kommentiert: „Wer so denkt, hält einen Soldaten für beleidigungsfähiger als einen Zivilisten. Außerdem ist es ein beliebtes Spiel, am Lack der Autorität des höchsten deutschen Gerichts zu kratzen.“ Die Gesetzesänderungsdebatte wurde in den Medien immer stärker als Rache an einer als „linksliberal“ geltenden Rechtsprechung des BVG (Kruzifix - und Haschischurteil) verstanden. SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die PDS hielten die angestrebten Änderungen für unsinnig und überflüssig und selbst der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr - Verbandes, hatte seine Meinung inzwischen geändert. Er unterschied nunmehr nicht mehr die Ehre und die Menschenwürde der Soldaten von anderen Bürgern und wollte mittlerweile auf eine gesetzliche Regelung verzichten. Nachdem die CDU / CSU den Vorschlag des Ehrenschutzes für Polizisten verworfen hatte, bildete die Debatte über die von der CDU /CSU und FDP eingebrachten „Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (Verunglimpfung der Bundeswehr)“ den Höhepunkt der parlamentarischen Debatte über den Ehrenschutz für Soldaten. Wie 1932 orientierte sich der Gesetzentwurf an dem Paragraphen, der das Staatsoberhaupt vor Verunglimpfung schützen soll (§ 90 StGB). Auch ein Vorschlag über eine „ortsgebundene Meinungsfreiheit“ wurde diskutiert. Straffrei sollte das Tucholsky - Zitat in politischen Diskussionen geäußert werden dürfen. Allerdings sollte das Entrollen von Spruchbändern vor Kasernen oder in Anwesenheit eines Soldaten geäußerte Zitat geahndet werden, da dadurch eine Verunglimpfung der Bundeswehr erfolge und nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Erstaunlicherweise verhielten sich die Militärs in Sachen Ehrenschutz im Vergleich zu den Bonner Politikern recht ruhig. Sie hielten die Debatte für dramatisiert und überzogen und für die Soldaten waren andere Themen relevant. Um die Fragwürdigkeit eines besonderen Ehrenschutzes zu unterstreichen machten die Grünen im Bremer Senat den Vorschlag, einen besonderen Ehrenschutz für Feuerwehrleute, Lehrer, Banker, Politiker, Journalisten und Mütter einzuführen. Während einer Bundestagsdebatte forderte Günter Verheugen (SPD) einen Ehrenschutz für Zivildienstleistende, die von der Wehrbeauftragten des Bundestages, Claire Marienfeld (CDU), „Drückeberger“ genannt worden waren. Gerade aber der als Parodie angelegte Antrag der Grünen hatte einen realen Hintergrund. In immer mehr Fällen gingen solche Bestrebungen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit. In diesem Kontext steht auch die Reaktion des Deutschen Fachverbands der Heilpraktiker, die vor Verunglimpfungen wie „Heilpraktiker sind Scharlatane“ geschützt werden wollten. Trotz der nachlassenden Wehrfreudigkeit der Jugendlichen und der durch die Abschaffung der Wehrpflicht in Frankreich aufkommenden Diskussion über die Wehrpflichtarmee, will die Bundesregierung an der jetzigen Form der Bundeswehr festhalten. Durch die vom Staat ausgehende Verpflichtung den Wehrdienst abzuleisten und durch die Entsendung der Soldaten in das ehemalige Jugoslawien sieht sich der Staat genötigt, seine „Staatsbürger in Uniform“ in Schutz zu nehmen. Hätte Deutschland eine Berufsarmee und der Bundestag nicht beschlossen, daß deutsche Soldaten an Auslandeinsätzen teilnehmen, befände sich Bonn nicht in dieser Zwickmühle und weckte auch keine Erinnerungen an unangenehme Zeiten bei seinen Nachbarn.

Pazifismus zur heutigen Zeit

Dienst der Bundeswehr

Pazifisten beklagen häufig den rasanten Umschwung der öffentlichen wie regierungsamtlichen Meinung über den militärischen Auftrag Deutschlands. Noch vor wenigen Jahren wies Deutschland jede militärische Einmischung in die Verhältnisse eines anderen Landes zurück, zu der heutigen Zeit jedoch fordert Deutschland diese Militärintervention ein und untermauert diese propagandistisch. Vernunft und Einsicht haben das Nachkriegsdeutschland zur Zurückhaltung in militärischen Fragen gezwungen, da aber nun staatliche Souveränität erreicht ist, sind es Einsicht und Vernunft, welche das Mittel des Krieges bereithalten. Da es in Deutschland verhältnismäßig viele Menschen gibt, die aus Gewissensgründen den Dienst bei der Bundeswehr verweigern, hat sich aus dieser Not heraus eine Institution gebildet, welche sich die „Kriegsdienstverweigerungs-Beratung“ nennt. Diese Gruppe spricht sich für die „Totale Kriegsdienstverweigerung“ aus und sie begründen ihre Einstellung folgendermaßen: In Zeiten der außen- und innenpolitischen Militarisierung ist es erforderlich, der expandierenden deutschen Außenpolitik durch eine totale Kriegsdienstverweigerung die Mittel, nämlich die Soldaten und unbewaffnete „Zivilverteidiger“ zu nehmen. Die Verweigerung aller Kriegsdienste, auch des Kriegsdienstes ohne Waffe (Zivildienst),ist die Konsequenz antimilitaristischer Politik. Totalverweigerer verweigern nicht nur den Waffendienst bei der Bundeswehr, sondern verweigern sich der Einplanung innerhalb der zivilmilitärischen Zusammenarbeit. Die grundlegende Kritik der konsequenten Kriegsdienstverweigerung gegenüber dem Militärersatzdienst, dem sogenannten Zivildienst, ist das „Konzept der Gesamtverteidigung“, aus dem hervorgeht, daß Zivildienstleistende in Kriegshandlungen und Kriegsvorbereitungen involviert sind, indem sie in Lazaretten, in der Versorgung der Streitkräfte, bis hin zu „Blindgängerentschärfungen“ eingesetzt werden. Durch die Propagierung der totalen Kriegsdienstverweigerung sollen Kriegsvorbereitungen verhindert werden, denn im Kriegsfall wird durch den Notstandsartikel 12a des Grundgesetzes die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet, auch Frauen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die expansive militärische Außenpolitik der Bundesregierung erfordert eine innenpolitische Situation, in der der antimilitaristische Widerstand nicht existieren soll, deswegen reagiert die Bundeswehr verschärfend auf Totalverweigerer. Sie werden im Vergleich zu den Vorjahren mit längerer Inhaftierung kriminalisiert, 1995 gleich zwei mal über 90 Tage Arrest. Und 1996 wurden zwei Mal 7 Monate Gefängnis über die Verweigerer durch die Justiz verhängt. Aber nicht nur in Deutschland, auch in anderen europäischen Staaten existieren totale Kriegsdienstverweigerer. Im Spanischen Staat zum Beispiel sieht die Lage folgendermaßen aus: Totale Kriegsdienstverweigerer fallen jetzt unter zwei Gesetze. Die meisten, die nach dem bisherigen Gesetz verurteilt wurden, werden jetzt entsprechend dem „Dritten Grad“ inhaftiert(offener Vollzug),doch einige - gekennzeichnet mit einer (2) hinter ihrem Namen - müssen Tag und Nacht im Gefängnis verbringen(Zweiter Grad).Seit Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes im Mai 96 werden totale Kriegsdienstverweigerer nicht mehr inhaftiert, sondern zu 8 bis 14 Jahren „Disqualifizierung“ von jeglicher Arbeit im öffentlichen Sektor oder dem Erhalt jeglicher öffentlicher Gelder verurteilt. Griechenland: Griechenland ist das einzige Mitglied der Europäischen Union, das das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennt. Es gibt keinen alternativen zivilen Dienst. Derzeit sind ungefähr 250 Zeugen Jehovas wegen ihrer Verweigerung des Militärdienstes im Gefängnis, üblicherweise sitzen sie Haftstrafen von 4 Jahren ab. Niederlande: Die Wehrpflicht wurde jetzt abgeschafft. Dennoch warten hunderte totale Kriegsdienstverweigerer noch immer auf ihre Verurteilungen (üblicherweise 7 Monate) Rußland: Jedes Jahr desertieren hunderte von Soldaten aus der russischen Armee, und weitere Tausende versuchen sich ihr zu entziehen. Für etwa 500 Soldaten, die im Tschetschenien - Krieg desertiert sind, werden in den nächsten Monaten die Gerichtsverhandlungen erwartet.

Auch wenn das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Verfassung anerkannt wird, wurden dazu bisher keine Regelungen erlassen. Singapur: Von allen männlichen Bürgern und permanenten EinwohnerInnen werden zwei Jahre Militärdienst erwartet, gefolgt von jährlichen Reserveübungen von bis zu 40 Tagen bis zu einem Alter von 40 Jahren. Singapur erkennt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht an. Verweigerer werden vor das Kriegsgericht gestellt und zu 12 Monaten Militärgefängnis verurteilt. Danach werden sie erneut einberufen. Nicht-Zusammenarbeit führt zu weiteren Verurteilungen zu 24 Monaten. Es wird davon ausgegangen, daß sich derzeit bis zu 20 Zeugen Jehovas im Gefängnis befinden. Zypern: Einige religiöse Kriegsdienstverweigerer sind in Süd-Zypern inhaftiert, sie sehen sich Inhaftierungen von bis zu 26 Monaten gegenüber.

Pazifismus heute

Als Beispiel heutiger pazifistischer Organisationen haben wir uns mit den Aktivitäten von Pax Christi beschäftigt. Die Entscheidung für diese Organisation trafen wir, da diese Gruppe in unserer Umgebung, dem Rhein-Main-Gebiet, angesiedelt ist. Pax Christi:(lat. = Friede Christi)wurde 1944 im französischen Gefängnis von Compiègne von Bischof Théas, ausgehend von der katholisch - internationalen Friedensbewegung, die sich 1945 mit einem Aufruf zum „Gebetskreuzzug für den Frieden“ durch 40 französische Bischöfe formierte, gegründet. Seit 1951 war Pax Christi in einem Internationalen Sekretariat und nationalen Sektionen organisiert. Der Schwerpunkt der heutigen Arbeit ist: Gebet, Studium und Aktionen für die Völkerverständigung, Friedenswallfahrten, Aktionen gegen den Hunger in der Welt, Entwicklungshilfe, Betreuung ausländischer Arbeiter, Förderung der deutsch-französischen Freundschaft. Sitz der 1948 in Kevelaer gegründeten deutschen Sektion ist Frankfurt am Main. Regelmäßig erscheint seit 1955 in Deutschland die gleichnamige Zeitschrift. Stellungnahme einer katholischen Friedensbewegung, Pax Christi, zur Friedensarbeit und zur Eskalation des Balkankrieges. Pax Christi fordert seit Jahren von der Politik: Eine umfassende Reform der UNO mit den Zielen wirtschaftlicher Gerechtigkeit, Demokratisierung und der Entwicklung gewaltfreier Eingreiftruppen; die Weiterentwicklung des Völkerrechts und der internationalen Gerichtsbarkeit; ein umfassender Aufbau der Instrumentarien zur zivilen Konfliktlösung und die Entwicklung eines zivilen Friedensdienstes; Maßnahmen zur Konfliktprävention und die Bekämpfung von Fluchtursachen durch strukturelle Änderungen der weltweiten ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen; ein internationales Abkommen zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und Deserteuren; der Abbau der Rüstung, die Forderung der Rüstungskonversion und ein Verbot von Rüstungsexporten. Zur Eskalation des Balkankrieges nimmt Pax Christi folgendermaßen Stellung: Pax Christi weigert sich, den NATO-Einsätzen im Bosnienkonflikt zuzustimmen, da dadurch ein Militärbündnis legitimiert wird, welches seine Funktion in der Verteidigung nationaler und regionaler Interessen sucht. Darüberhinaus vertreten sie die Ansicht, daß militärische Aktionen demokratisch - politische Lösungen gefährden. Gewaltmaßnahmen seien eine Quelle immer neuer, gewalttätiger Auseinandersetzungen. Zum politischen Realismus der Friedensbewegung gehört die Einsicht, daß auch Folgen einer schlechten Politik verantwortet werden müssen, und nicht alleine mit prinzipieller Kritik übergangen werden dürfen.

Die Friedensbewegung von 1980 bis 1986

Es gibt sie noch, die Friedensbewegung, aber sie hat eine Dezentralisierung ihrer Organisationsstrukturen erfahren. Der endgültige Verlust des überholten Minimalkonsenses und fehlende Anteilnahme in der Bevölkerung ist charakteristisch für diese Bewegung, die interessen- und gruppenbezogene Zielvorstellungen verfolgt. Von besonderer, Anstoß gebender Bedeutung für die Entwicklung der Friedensbewegung ist der Doppelbeschluß der NATO vom 12. Dezember 1979 gewesen. Zumindest bis zum Jahresende 1983 bildete er den eigentlichen Anlaß und Bezugspunkt der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Auch ist auf Aktivitäten in anderen europäischen Ländern zu verweisen, in denen sich der Protest gegen die Aufrüstung früher und einheitlicher organisiert hatte. Vor allem die Initiativen des Interkirchlichen Friedensrates der Niederlande (IKV) haben über die Kontakte und die Kooperation mit westdeutschen evangelischen Gruppen die Formierung der Friedensbewegung in der Bundesrepublik gefördert. Aus der Vielzahl innenpolitischer und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse der 70er Jahre lassen sich eine Reihe von Ursachen ableiten. Im einzelnen lassen sich folgende Faktoren differenzieren:

Es kann zusammenfassend eine latente Bereitschaft und eine infrastrukturelle Fähigkeit der Alternativ-, Ökologie - und Jugendbewegung konstatiert werden. Auf dieser Basis wurde der NATO -Doppelbeschluß unter den gewandelten Rahmenbedingungen des Jahres 1980 zum Auslöser einer neuen, in ihrer Ausdehnung bislang einmaligen Massenbewegung. Man kann hauptsächlich vier verschiedene geistige und politische Strömungen ausmachen, deren Zusammenfließen aber erst die Dynamik dieser Bewegung erklärbar macht. Von großer Bedeutung, insbesondere für das moralische Gewicht der Friedensbewegung und ihr un- bzw. überpolitisches Bild in großen Teilen der Bevölkerung, sind die christlich - pazifistischen Strömungen, wobei es sich meistens um protestantische handelt. Die Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste ist die profilierteste der zahlreichen protestantischen Gruppierungen in der Friedensbewegung. Der in verschiedene Richtungen ausfransende Bezug zum Umweltschutz ist zweifellos die massenwirksamste der geistigen Strömungen der Friedensbewegung. Zunächst tat sie sich relativ schwer, die einzelnen ideologisch angehauchten Naturvorstellungen kleinerer Randgruppen zu verschmelzen. In größerem Umfang gelang das erst bei dem Thema Bau von Kernkraftwerken. Eine insgesamt quantitativ schwächere Bewegung bilden die undogmatischen Sozialisten. Ihre Sammelpunkte sind vor allem das Komitee für Grundrechte und der Bundeskongreß Autonomer Friedensgruppen (BAF). Die Autonomen Friedensgruppen verfolgen das Ziel einer Widerstandspolitik in der Friedensbewegung, die auf einer kompromißlosen Gegnerschaft gegenüber dem System beruht. In dem Umfeld dieser autonomen Friedensgruppen wird eine Vielzahl von Bündnis- und Umfeldorganisationen aus dem linkspolitischen Bereich vermutet. Das Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit und die Organisatoren des Krefelder Appells werden immer als Schwerpunkt kommunistischer Aktivität in der Friedensbewegung genannt. Der Koordinationsausschuß der Friedensbewegung, ein Gremium, in dem sich Vertreter von 30 sehr unterschiedlichen Organisationen und Verbänden treffen, hat die Entwicklung der Friedensbewegung zu Beginn der 80er Jahre mehr geprägt als irgendein anderer Zusammenschluß innerhalb dieser größten Bewegung der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Für politische Beobachter war dieses Gremium das Zentrum der Bewegung. So konnte das zentrale Entscheidungsgremium, der Koordinationsausschuß (KA ), der von acht Aktionskonferenzen bis 1985 begleitet wurde, alle wichtigen Aufrufe, Aktionsvorschläge und Vorlagen des KA bestätigen und den Kurs der Friedensbewegung steuern. Die Organisationen Aktion Sühnezeichen, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Friede